DAS IST ...
Annette Michael, Verlegerin des Orlanda Verlags:
»Die Vielfalt unserer Gesellschaft muss in den Köpfen ankommen« schreiben Sie in Ihrer Herbstvorschau. Ist das Ihr täglicher Antrieb, um Bücher zu machen?
Es geht uns darum Bücher zu verlegen, die uns die Welt besser kennenlernen lassen, um zu mehr Verständnis und Solidarität beizutragen. Wir möchten mit unserem Programm dem Diskurs für eine positive Weiterentwicklung der Welt ohne Vorurteile und vorgefertigte Meinungen eine Bühne geben – über Herkunft, Weltbild, Geschlechtsidentitäten und Hautfarbe hinweg. Wir möchten aber auch Menschen und Geschichten ein Gesicht geben, die normalerweise hinter den Schlagzeilen von Nachrichten „verschwinden“. Gerade ist unser syrisch-kanadischer Autor Danny Ramadan auf Lesereise hier, der in seinem Roman „Die Wäscheleinen-Schaukel“ einen Einblick in ein queeres Syrien gibt, aber auch in ein Leben im Bürgerkrieg und als Geflüchteter in Ägypten und dem Libanon, um ein Beispiel zu nennen.
Anfang diesen Jahres waren Sie mit der kamerunischen Autorin Djaïli Amadou Amal auf Lesereise in Deutschland unterwegs – was waren die eindrücklichsten Erlebnisse?
Die ganze Reise war ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Ich habe viel gelernt über die Lebenssituation in Kamerun und in der Sahelzone. Beeindruckt hat mich die Konsequenz, mit der sie die Rettung ihrer Töchter vor der Zwangsehe anging, als ihr klar wurde, dass ihre Töchter dasselbe Schicksal ereilen würde, das sie selbst ertragen musste, wenn sie nichts unternimmt. Sie verließ ihre Familie, ging in den Süden und begann zu schreiben. Schließlich kam sie zurück in die Sahelzone mit einem gedruckten Buch in der Hand, als erste Autorin aus dieser Gegend. Heute studieren ihre Töchter und können sich aussuchen, wen sie heiraten wollen. Niemand hat mehr gewagt, sie zu etwas zu zwingen. Ihr Buch „Die ungeduldigen Frauen“ ist inzwischen Pflichtlektüre in den Oberstufen der Schulen in Kamerun. Das beweist: Literatur kann die Welt verändern. Ich freue mich deshalb um so mehr, dass sie gerade in Frankreich zur Autorin der Jahres 2021 gewählt wurde, als erste Frau des afrikanischen Kontinents.
Sie sind der Verlag des türkischen Autors Barbaros Altuğ und veröffentlichen seine Bücher nicht nur in deutscher Übersetzung, sondern auch auf Türkisch. Wie kam es dazu?
Barbaros Altuğs Roman „es geht uns hier gut“ wurde in der Türkei veröffentlicht und war dort sehr erfolgreich. Die Publikation seines zweiten Romans „Sticht in meine Seele“ war nicht mehr möglich. Es geht darin um den Genozid an den Armenier*innen aus der Sicht einer Nachgeborenen. Das ist in der Türkei nach wie vor ein Tabu. Wir haben uns dazu entschlossen, ihn auf Türkisch zu veröffentlichen, um ihn der türkischsprechenden Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Herbst wird bei uns der dritte Band seiner Exil-Trilogie erscheinen, unter dem Titel „Ausländer“. Falls sich kein Verlag in der Türkei findet, würden wir auch dieses Buch auf Türkisch veröffentlichen. Trotzdem hoffen wir sehr, dass sein Werk über kurz oder lang wieder in der Türkei erscheinen kann.
Foto: © Orlanda Verlag