DAS IST ...
Heinrich von Berenberg, Verleger des Berenberg Verlags:
Sie bereiten gerade das 37. Programm des Verlags vor: Gilt für Sie immer noch der Grundsatz, dass in jedem dicken Buch ein dünnes stecke, das schreit »Ich will raus«?
Im Prinzip ja. Aber Ausnahmen von der Regel haben immer wieder diesen schönen Vorsatz gesprengt. Unsere Gestalterin Antje Haack hat dann für umfangreichere Bücher wie z. B. die Tagebücher von Michael Rutschky oder zuletzt Ingmar Bergmans Notizhefte geniale Lösungen gefunden, so dass das daraus entstandene »Kleine Format« inzwischen auch für dünne Bücher passt, für die nach wie vor Robert Darntons schöner Grundsatz gilt. Überhaupt ist daraus eine ideale Spielwiese für die Belletristik geworden, die wir ja ursprünglich mal gemieden haben. So haben wir seinerzeit auch für Christine Wunnickes am Ende sehr erfolgreiche Romane endlich das richtige Format gefunden. Fast schöner als das ursprüngliche, klassische Format.
Aktuell sorgt das Buch »Eine Nebensache« von Adania Shibli für viel Aufmerksamkeit: Wie ist dieses Buch zu Ihnen gekommen?
Über eine gute Adresse, von der schon andere gute Bücher, wie z. B. die von Eliot Weinberger, bei uns gelandet sind. Die englische Übersetzung dieses großartigen palästinensischen Romans war bei New Directions in New York erschienen. Das allein ist bereits eine Empfehlung. Ich habe sie vom ersten bis zum letzten Satz laut gelesen, denn dieser ungeheuer genau und in seinen motivischen Verschränkungen kunstreich gebaute Roman ist – in seiner englischen, und nun auch in der deutschen Übersetzung von Hans Günther Orth - sprachlich fast so etwas wie ein Prosagedicht. Dabei handelt es sich um einen Roman, der wie kein zweiter, den ich kenne, die bedrückende Realität in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten spiegelt – ohne den leisesten Anlass für irgendwelche raised eyebrows bei den entsprechenden PC-Hütern zu bieten. Dieses Stück souveräne Literatur steht darüber.
Und mögen Sie verraten, wie Anne Serre, die Sie im Herbst erstmals auf Deutsch verlegen werden, in Ihr Programm gefunden hat? Im Editorial Ihrer Vorschau deuten Sie an, dass dies eine eigene Geschichte sei.
Von Anne Serre las ich schon vor fast zehn Jahren einen kurzen Prosatext mit, um es milde auszudrucken, ungewöhnlichem erotischen Inhalt. Obwohl ich mich damals gern getraut hätte, es zu übersetzen, ging es nicht. Das Buch war zu wenig umfangreich, sogar für unsere Verhältnisse (s. o.). Heute hätten wir mit den kleinen feinen Büchern, wo Katharina Hackers »Minutenessays« und jetzt Jürgen Hosemanns Weisheiten aus seinem Papierkorb erscheinen, das richtige Format. Aber es wäre inzwischen tatsächlich nicht mehr möglich, dieses Buch auf ein deutschsprachiges Publikum loszulassen. Warum? Das müssen Sie selbst heraus finden. Jedenfalls traf es sich, dass ich zum Zeitpunkt, als mich Beatrice Faßbender auf die englische Ausgabe ihres Debüts von vor dreißig Jahren aufmerksam machte (dreimal dürfen Sie raten, wo die erschien: richtig – New Directions), hingerissen Anne Serres »Au cœur d'un été tout en or« las. Dafür bekam sie dann auch den Prix Goncourt de la Nouvelle. Im Herbst erscheint bei uns die deutsche Übersetzung von Patricia Klobusiczky. Und irgendwann nächstes Jahr jenes Debüt mit dem Titel »Die Gouvernanten«, in dem es auch nicht unbedingt gesittet zugeht.
Foto: © Cordula Giese